Kämpferische Rechtgläubigkeit
Im späten Frühjahr 2003 besuchte mich ein Priester, den ich auf einem der Herrenabende kennengelernt hatte, zu Hause. Der freundliche Pastor, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Heinz Rühmann gespielten Filmpater Brown hatte, kam im Auftrag der Fördergemeinschaft der katholischen Monatsschrift Theologisches.
Die 1970 von dem Paderborner Priester Wilhelm Schamoni gegründete Zeitschrift gilt seit vielen Jahren als wichtigstes und auflagenstärkstes Publikationsorgan konservativer katholischer Theologie im deutschsprachigen Raum. Finanziell und organisatorisch verwaltet wird die Zeitschrift von einer »Fördergemeinschaft«, der herausragende Persönlichkeiten aus dem traditionalistisch-katholischen Spektrum angehören. Unter ihnen sind, neben wichtigen Opus-Dei-Leuten, so unterschiedliche Theologen wie der Ratzinger-Schüler und Münsteraner Missionswissenschaftler Johannes Dörmann und der Frankfurter Adorno-Schüler Walter Hoeres. Was diese Männer verbindet, ist ihr Antimodernismus bzw. ihre mehr oder weniger stark ausgeprägte Ablehnung einer Öffnung von Kirche und Theologie zur Moderne.
Ebenso illuster liest sich die Liste der gegenwärtigen und ehemaligen Mitarbeiter: die Publizistin und Mitherausgeberin des Rheinischen Merkur, Christa Meves; die schon erwähnte Alma von Stockhausen; der Chefhistoriker des Vatikans, Professor Walter Brandmüller; Professor Johann Auer, der gemeinsam mit Joseph Ratzinger in den späten 70er Jahren ein Lehrbuch der Dogmatik verfasste; der durch seinen Geschichtsrevisionismus und seine antisemitischen Stereotypen bekannt gewordene Historiker Konrad Löw; der Bamberger Erzbischof Karl Braun; Bischof Kurt Krenn; die Weihbischöfe Andreas Laun und Max Ziegelbauer; der Schriftsteller Martin Mosebach; die international bekannten Theologen Scheffczyk, Dulles und Caffarra, die vom Papst für ihre Verdienste um eine konservative, romtreue Theologie zu Kardinälen erhoben wurden; der Präsident der Päpstlichen Theologenakademie, Antonio Piolanti; Professor Alfred Läpple, der einen prägenden Einfluss auf Ratzinger hatte.
Auch von den Kardinälen Meisner und Ratzinger wurden immer wieder Texte in Theologisches publiziert. Lange Zeit galt: Wer in dieser auch in vatikanischen Kreisen zahlreich abonnierten und sehr aufmerksam gelesenen Zeitschrift veröffentlichen durfte, hatte es im erzkatholischen Milieu zu etwas gebracht.
Unter der Herausgeberschaft von Monsignore Johannes Bökmann, den ich auf einem der Düsseldorfer Herrenabende kennengelernt hatte, begann man in den 90er Jahren, sich zunehmend bei politisch rechtsradikalen Kreisen anzudienen, was zu einem deutlichen Absinken der Abonnentenzahl führte. Der Effekt konnte allerdings durch zusätzliche Finanzspritzen des zahlungskräftigen Veranstalters der Herrenabende und anderer wohlhabender Mitglieder des Netzwerkes aufgefangen werden. Um die Auflage und damit auch die scheinbare ideologische Schlagkraft der Zeitschrift möglichst hoch zu halten, wurden Abbestellungen einfach nicht bearbeitet bzw. nichtzahlende Abonnenten weiter beliefert. Auch dort, wo es um Mitglieder-, Abonnenten- und Mitarbeiterzahlen geht, wird im konservativen Milieu also der irreführende schöne Schein aufrechterhalten.
Die enormen Liebesbemühungen des Vatikans um die Protagonisten dieses Spektrums werden in der Öffentlichkeit immer mit dem bedeutenden quantitativen Anteil der konservativen Katholiken an der Gesamtkirche begründet. Dass zu repräsentativen Gottesdiensten und Kundgebungen der Traditionalistenbewegung deren Anhänger auf Kosten finanzkräftiger Spender aus ganz Europa zusammengekarrt werden, dass die Leser der verschiedensten traditionellen Zeitschriften sich aus »Solidaritätsgründen« oft alle theologisch konservativen Organe zuschicken lassen, ohne sie wirklich zu lesen, dass die Zahl der Autoren künstlich erhöht wird, indem diese unter mehreren Namen, teilweise auch unter Angabe nicht immer ganz einwandfrei erworbener, aber pompös klingender akademischer und kirchlicher Titel publizieren - all das wird weitgehend verschwiegen. So wird der Schein einer auch zahlenmäßig gewichtigen erzkonservativ-katholischen Front erweckt.
Und das mit Erfolg. Der kolumbianische Kardinal Hoyos argumentierte im Vorfeld der Aufhebung der Exkommunikation der Piusbruderschaftsbischöfe damit, diese hätten schließlich eine Anhängerschaft von etwa 600000 äußerst engagierten Gläubigen. Seriöse Untersuchungen ergaben dann allerdings, dass die wirklich praktizierende Anhängerschaft der Bruderschaft nur aus etwa 150000 Gläubigen besteht, was einem Anteil von weniger als 0,01 Prozent aller Katholiken entspricht!
Nach dem Tod Professor Bökmanns, den ich als frustrierten und von der Abneigung gegen jegliche Öffnung von Kirche und Gesellschaft zur Moderne getriebenen alten Mann erlebt hatte, übernahm der Kölner Monsignore Ulrich-Paul Lange kurz vor der Jahrtausendwende die Herausgeberschaft der Zeitschrift. Bei Lange paarte sich eine naive Unsicherheit im Umgang mit Menschen und wissenschaftlichen Inhalten einerseits mit einem ausgeprägten Starrsinn andererseits. Dass der Prälat dennoch dieses Amt übernehmen konnte, ist symptomatisch für die katastrophale Personalpolitik der katholischen Kirche: Fehlende wissenschaftliche und menschliche Kompetenz wird ausgeblendet, und man schaut nur darauf, dass der Betreffende kirchenpolitisch der Richtige ist, also in der erzkonservativen Ecke steht. Diese auch bei der Besetzung hoher Kirchenposten übliche Vorgehensweise führt zu jener Situation, die Heinz-Joachim Fischer am 29. Januar 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung treffend beschrieben hat: »Oft sind unter Traditionalisten und in rechtskonservativen Bewegungen Frömmigkeit und religiöser Eifer höher als das theologische Niveau ihrer Führer.«